Freiflächen | Julia Zange durchstreift Berlin
Wenn man Berlin als einen Häuserwald betrachtet, ist er nur struppig bewachsen. Während sich in anderen Städten Gebäude fast die Luft nehmen, gibt es hier sehr viel davon. An manchen Orten ist sie besonders schön und dünn. Man kann atmen und um sich schlagen.
Als ich einmal durch Kreuzberg spazierte und mein gewohntes Areal um ein paar Grad verließ, stieß ich hinter dem Moritzplatz auf eine Art Schneise. Ein bewachsener Streifen führte zwischen den Häusern, immer weiter, und am Ende der Achse sah ich schon von weitem eine mächtige Kirche mit einem bedrohlichen Engel auf dem First. Die Schneise war irgendwann nicht mehr ebenerdig, sondern verlief tiefer als die Straße, Rosenbüsche blühten zwischen den säuberlichen Rabatten, ein Brunnen mit einer Buddha-Figur dazwischen.
Und auf einmal befand ich mich auf einem riesigen Platz, in dessen Mitte ein Bassin funkelte: das Engelbecken zu Füßen der St.-Michael-Kirche.
Ursprünglich floss hier das Wasser des Luisenstädtischen Kanals. Initiiert von Friedrich Wilhelm dem IV., begann der Bau 1848, in den Jahren der Revolution. Zwischenzeitlich zugeschüttet, fand man nach dem Mauerfall 1989, das Fundament des Buddha-Brunnens, welcher von den Nazis eingeschmolzen worden war – man rekonstruierte den Brunnen. Und flutete das Engelbecken wieder. Hier fühlt man sich ganz aus der Zeit gefallen.
Wenn man nun die Heinrich-Heine-Straße überquert, gelangt man ins Märkische Viertel, mein Zauberdistrikt. An der Ecke Wallstraße/Inselstraße findet man zwischen nackten Häuserwänden einen riesigen Dschungel. Man muss sich aber beeilen, er wird nicht für immer sein. Und Gummistiefel sollte man anziehen, wenn man sich traut hinter einem Sandhügel hinabzusteigen.
Ein paar Meter weiter führt eine Brücke hinüber zur Fischerinsel. Die Brücke hat eine Naht, eine Art Empore zum Liegen oder Turnen und man wirft einen ganz weichgezeichneten Blick auf Berlin, über die Fischerboote hinweg.
Von dort ist es gar nicht weit zur Leipziger Straße, wo man sich auf eine Verkehrsinsel in den Straßenlärm stellen kann. An einem DDR-Waschbeton-Plattenbau blinken die Lettern von Coca-Cola (!!). Und man schaut die Straße hinunter tief hinein in die Stadt.
Mit der S-Bahn fährt man auch ganz schnell wieder hinaus, zum Beispiel in den Westen bis Grunewald. Durch Wald und Villen zum Dianasee. Auch ein künstliches Wasserloch aus der Kaiserzeit, von 1889, was man dem See der Jagdgöttin, aber gar nicht mehr ansieht.
Der Teufelsberg ist gleich in der Nähe. Alle die je dort waren, überlegen ihn zu kaufen. Unerträglich scheint der Gedanke ihn mit anderen jungen Menschen, die dort zwischen den weiß-glänzenden, futuristischen Radar-Anlagen-Kuppeln Fotoshootings machen, zu teilen. Und auch nicht den Hauch amerikanischer Spionagetätigkeit der noch in den durchweichten Aktenregalen hängt.
Mit all denen, die man dort getroffen hat, kann man dann zurück zur Weinmeisterstraße fahren. Direkt neben dem Café Mitte, dem Nachmittagsschmelzpunkt der Szene, gibt es eine Baulücke, die sich langsam auch zum Urwald entwickelt, und in der man wieder unbemerkt verschwinden kann.
Text: Julia Zange
Fotos: Julia Zange | shot with Nokia Nseries, processed with Poladroid