Infinite Dinner | Julia Zange durchstreift Berlin
Britta sagte letztens zu mir, sie könne “Dinner” nicht mehr hören. Amerikanisierung in Berlin. Die Amerikaner nehmen uns die Jobs bei Kunstmagazinen weg und die Mädchen. Und sie verbreiten Dinner-Stimmung. Aber wir lieben sie trotzdem.
I love N.Y., aber Berlin liebt dich.
Es hat gerade ein 24 Stunden Sandwich-Deli in der Rosenthaler Straße eröffnet. In einer ehemaligen Buchhandlung in der Brunnenstraße blitzte mich heute eine Edelstahlküche an. In der Torstraße warten in einer Reihe das Zoe, Toca Rouge, Tartan, das Bandol auf. Und das Themroc. Wo pro Abend nur ein Menu gekocht wird, französisch deftig und duftend. Hinter beschlagenem Fensterglas. So beschlagen, dass manchmal französische Tränen über die Wange der Scheibe laufen. Man wirft ihm Hipsterness vor, also Weltuntergang, aber sehr warm und wohlschmeckend. Das Themroc hat sogar ein eigenes Plakat mit Graphiken, die von Lodown-Graphikern stammen könnten, welches man für 20 Euro kaufen kann.
Nicht dass es neu wäre Essen zu gehen, anstatt zu kochen. Aber amerikanische Verhältnisse hatte (und hat) Berlin bisher trotzdem noch nicht, nur eine Annäherung an dichte Möglichkeiten.
Britta und ich gehen gerne in unseren speziellen Grill Royal am Rosenthaler Platz, wo man immer entzückend zuvorkommend bedient wird, und alle Fäden zusammenlaufen. Das Hähnchen kann man nach etwa drei mal nicht mehr essen. Auch nach längerer Abstinenz nicht. Aber der Salat ist so neutral, dass er immer geht und wesentlich billiger als ein Kunstmagazin.
Lena und ich gehen gerne zu dúdú gegenüber in der alten Seifenfabrik, süchtig nach Fischbowl, wo so dicke, saftige Fischfleischstücke drin sind, dass einem Sushi vorkommt wie Pommes mit Mayo.
Mit erwachsenen Menschen bin ich öfters ins Kirk Royal am Paul-Lincke-Ufer gegangen, deren Standardkarte aus Steak Frites, Boullaibaise und Austern besteht. Außerdem arbeitet dort der arroganteste Kellner der Stadt – nicht gerechtfertigt.
Anni erzählt mir schon seit Wochen vom Kellner mit dem extravaganten Gesicht aus dem Café Savigny. Den habe ich allerdings noch nicht gesehen.
Die Kellner im Café Einstein sind eher unauffällig und sehen aus wie frisch gewaschen, das Stammhaus, aber der unbedingte Ort für Frühstück bei Regen. Das einzige echte Kaffeehaus in Berlin. Messing, Marmor, schöne Kuchen, der Kaffe nur unwesentlich günstiger als im Adlon – aber gerechtfertigt.
Im Borchardt war ich mit meinem Bruder und Sönke, der die Wände sehr nackt fand. Dort beginnen Karrieren (Sönke wird sicherlich mal das Land regieren. CDU übrigens), und manchmal enden sie auch schon beim Vorstellungsgespräch (ich traf dort einen Galeristen, der aus New York nach dem Crash nach Berlin kommen musste, und es aber nur weiter crashte, was ich zum Borchardt-Zeitpunkt noch nicht ahnte).
Im Schusterjungen in der Danziger Straße, wo mich Christoph nach einem Ausstellungbesuch deutscher Romantiker hinführte, geht es überhaupt nicht um Karrieren, höchstens darum, an einem Abend den einarmigen Banditen zu besiegen, aber man kann dort auch wirklich kein Dinner einnehmen, sondern Abendessen, Fleischhunger stillen. Gulasch, Rinderbraten, Klöße und Rotkraut – Zutaten, die schon vor 1989 eine konstante Speisekarte ermöglichten. Bis auf die Cocktailkirsche vom Toast Hawaii. Die deutsch-amerikanische Freundschaft bringt Berlin zum Blühen. Wirklich.
Text > Julia Zange
Fotos > Julia Zange | shot with Nokia Nseries, processed with Poladroid
Author: BAMBIblog